Verleihung der Bach-Medaille der Stadt Leipzig

Drei Fragen an Andreas Staier

Foto: Josep Molina

 

Wann begann Ihr besonderes Verhältnis zu Bach?

Ich erinnere mich, dass ich mit sieben Jahren, kurz nachdem ich angefangen hatte, Klavier zu spielen, das Weihnachtsoratorium auf LP geschenkt bekam. Dieser Beginn: Die tönenden Pauken, die jubilierenden Violinen; ein Sternenregen, ja ein Feuerwerk, dass da in Noten heruntersinkt. Das hat mich völlig umgehauen und tut es noch immer. Es hat mich total geplättet, dass Musik so prächtig sein kann. Offengestanden war ich dann ein bisschen enttäuscht, als ich irgendwann erfuhr, dass Bach diese unglaubliche Musik ursprünglich auf einen ganz anderen Text komponiert hat.

Was fasziniert Sie an Bach am meisten?

Ich würde hier zwei Musiker zitieren. Paul Hindemith sagte in seiner berühmten Rede beim Bachfest 1950: Bachs Musik ist »die Schau bis ans Ende der dem Menschen möglichen Vollkommenheit«. Und Mauricio Kagel formulierte: »Nicht jeder Musiker glaubt an Gott, aber alle an Johann Sebastian Bach!« Beiden kann ich nur vollkommen zustimmen. Der Grad an Perfektion und Beziehungsreichtum in Bachs Werken ist unerreicht, und ich frage mich immer wieder: Wie konnte er diesen raffinierten Satz in seinen Kompositionen immer wieder geistig, konzentrationsmäßig zusammenhalten – und zwar nicht nur in den unfassbar komplexen Spätwerken wie der »Kunst der Fuge«, sondern auch in Stücken, bei denen er sozusagen nicht lang am Bleistift gekaut hat?

Gibt es ein Bach-Werk, das Sie nicht loslässt bzw. Sie ganz besonders fasziniert?

(Lacht) Nicht nur eins ... aber nehmen wir mal ein Beispiel, das Bachs endlosen Reichtum ganz charakteristisch verkörpert: Der Eingangschor der Kantate »Gott der Herr ist Sonn und Schild«, BWV 79. Der festlich konzertante Beginn, dann die flinke Battaglia und schließlich der Choreinsatz mit den langen Notenwerten – ein ganzes Universum an Themen und Tempoarten. Im Verlauf des Stücks kombiniert Bach erstmal je zwei Elemente und schließlich alle drei – ganz unangestrengt, das schwitzt überhaupt nicht. Hier hat man die Quintessenz von dem, was dieser Bach konnte, was er immer wieder sehen und hören lässt. Herrlich!

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