»frappanteste und genußvollste Abenteuer«

Bachs Kantaten durch die Brille von Mendelssohn und Brahms

 

Bachs virtuoser Umgang mit Chorälen begeisterte auch die Bach-Pioniere des 19. Jahrhunderts. Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte ein Jahr nach seiner legendären ersten Wiederaufführung der Matthäus-Passion eine kleine Serie von Choralkantaten, u. a. auf Martin Luthers »Ach Gott, vom Himmel sieh darein« und auf Paul Gerhards »O Haupt voll Blut und Wunden«. Gegenüber seinem Freund Eduard Devrient betonte er: »Hat es Ähnlichkeit mit Seb. Bach, so kann ich wieder Nichts dafür, denn ich habe es geschrieben, wie es mir zu Muthe war, und wenn mir einmal bei den Worten so zu Muthe geworden ist, wie dem alten Bach, so soll es mir umso lieber sein.« Tatsächlich sind die – heute sehr selten aufgeführten – Stücke eindrucksvolle Zeugnisse für eine Art auskomponierte, jedoch nie ins Epigonenhafte abgleitende Rezeption von Bachs Choralkantaten: voller kreativer und verspielter Einfälle, wie sie nur einem Mendelssohn gelingen konnten.

Auch im Werk von Johannes Brahms hat die intensive Beschäftigung mit Bach tiefe Spuren hinterlassen. Ebenfalls in seinen Konzertprogrammen. In Wien führte er in den frühen 1870er Jahren als Konzertdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde eine Reihe von Bach-Kantaten auf, darunter die Choralkantate »Christ lag in Todesbanden«, BWV 4, und »Ich hatte viel Bekümmernis«, BWV 21. Für die Aufführungen kleidete er die Stücke in das Klanggewand des romantischen Orchesters und schrieb für einige im Original nur vom Continuo begleitete Arien eigenständige Streichersätze. Die Konzerte waren für Brahms eine pure Freude. Rückblickend schwärmte er gegenüber dem Bach-Biographen Philipp Spitta: »Mir waren diese Cantaten [...] die frappantesten und genußvollsten Abenteuer im Conzertleben«. Angesichts der brillanten Besetzung dieser Werke am 15. Juni 2024 in der Thomaskirche dürfen wir mit einem ähnlich »genussvollen« Konzerterlebnis rechnen!

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