Abschlusskonzert

Drei Fragen an Philippe Herreweghe

Sie sind seit vielen Jahren »Stammgast« beim Leipziger Bachfest. Ist die Aufführung der h-Moll-Messe im Abschlusskonzert dennoch etwas Außergewöhnliches?

Das Collegium Vocale Gent hat seit vielen Jahren die Ehre, beim Leipziger Bachfest zu Gast sein zu dürfen. Das Abschlusskonzert mit der Hohen Messe zu geben, wird aber auch für uns ein Meilenstein in der 50-jährigen Geschichte unseres Ensembles sein. Diese Messe gehört mit einigen wenigen anderen äußerst genialen Kunstwerken, wie den Fresken von Piero della Francesca in Arezzo oder der »Divina Commedia« von Dante zu den schönsten und tiefsten Schöpfungen des menschlichen Geistes in Europa. Als Musiker kann man sich ein Leben lang damit beschäftigen, und eine gründliche Kenntnis des Werks befruchtet unser Verständnis der gesamten Geschichte der abendländischen Musik.

Können Sie in der Partitur der h-Moll-Messe überhaupt noch Neues entdecken?

Das Collegium Vocale hat die Hohe Messe dutzende Male aufgeführt und dreimal auf CD aufgenommen. Dennoch bleibt die Partitur immer neu, und es bleibt eine Herausforderung, immer wieder zu versuchen, ein noch besseres Niveau zu erreichen. Die technische Seite der Aufführungen wirft immer weniger Probleme auf, ihr Ergebnis hängt hauptsächlich von der Qualität der zur Verfügung stehenden Sänger und Instrumentalisten sowie von der Probenzeit ab.

Was glauben Sie: War die Zusammenstellung der h-Moll-Messe 1749 für Bach ein Auftragswerk oder hat er die Komposition als »Bekenntniswerk« für sich selbst vollendet?

Natürlich hatte Bach, der geniale Pragmatiker, bei der Komposition der Hohen Messe auch das weitere Vorankommen seiner Karriere im Auge und hoffte, Maestro di Cappella in Dresden zu werden, was eine Aufführung seiner Missa Tota begünstigt haben dürfte. Doch in erster Linie sah Bach sein Werk zweifellos als musikalisches Testament, als Überblick über seine musikalische »Wissenschaft«, an der er ein Leben lang gearbeitet hatte und in der es ihm gelungen war, die religiöse und die weltliche, die moderne und die »alte« Musik, den französischen, deutschen und italienischen Stil zu vereinen. Wie Beethoven mit seinen letzten Streichquartetten hatte er die Grenzen des musikalischen Denkens für immer verschoben.

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