Israelsbrünnlein

I. O Herr, ich bin dein Knecht

O Herr, ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn. Du hast meine Bande zerrissen.
Dir will ich Dank opfern und des Herren Namen predigen.
Psalm 116, 16–17
 

II. Freue dich des Weibes deiner Jugend

Freue dich des Weibes deiner Jugend.
Sie ist lieblich wie eine Hinde und holdselig wie ein Rehe;
lass dich ihre Liebe allezeit sättigen und ergetze dich alleweg in ihrer Liebe.
Sprüche Salomos 5, 18b–19
 

III. Die mit Tränen säen

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Psalm 126, 5–6
 

Lesung: Drei Gedichte von Andreas Gryphius (1616–1664)


Einsamkeit

In dieser Einsamkeit, der mehr denn öden Wüsten,
gestreckt auf wildes Kraut, an die bemooste See:
beschau ich jenes Tal und dieser Felsen Höh’,
auf welchem Eulen nur und stille Vögel nisten.
 

Hier, fern von dem Palast; weit von des Pöbels Lüsten,
betracht’ ich: wie der Mensch in Eitelkeit vergeh’,
wie, auf nicht festem Grund all unser Hoffen steh’,
wie die vor Abend schmähn, die vor dem Tag uns grüßten.
 

Die Höll’, der rauhe Wald, der Totenkopf, der Stein,
den auch die Zeit auffrisst, die abgezehrten Bein’
entwerfen in dem Mut unzählige Gedanken.
 

Der Mauern alter Graus, dies unbebaute Land
ist schön und fruchtbar mir, der eigentlich erkannt,
dass alles, ohn’ ein’ Geist, den Gott selbst hält, muss wanken.
 

Morgen Sonnet

Die ewig helle Schar will nun ihr Licht verschlissen,
Diane steht erblasst; die Morgenröte lacht
den grauen Himmel an, der sanfte Wind erwacht
und reizt das Federvolk, den neuen Tag zu grüßen.
Das Leben dieser Welt eilt schon die Welt zu küssen,
und steckt sein Haupt empor, man sieht der Strahle Pracht
nun blinken auf der See: O dreimal höchste Macht,
erleuchte den, der sich jetzt beugt vor deinen Füßen.
 

Vertreib die dicke Nacht, die meine Seel’ umgibt,
die Schmerzen Finsternis, die Herz und Geist betrübt.
Erquicke mein Gemüt und stärke mein Vertrauen.
 

Gib, dass ich diesen Tag in deinem Dienst allein
zubring’ und wenn mein End’ und jener Tag bricht ein,
dass ich dich, meine Sonn, mein Licht, mög’ ewig schauen.

 

Abend

Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn /
und führt die Sternen auf. Der Menschen müde Scharen
verlassen Feld und Werk / wo Tier und Vögel waren
traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
Gleich wie dies Licht verfil / so wird in wenig Jahren
ich / du / und was man hat / und was man sieht / hinfahren.
Dies Leben kommt mir vor als eine Renne-Bahn.
Lass höchster Gott / mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten /
Lass mich nicht Acht / nicht Pracht / nicht Lust nicht Angst verleiten!
Dein ewig-heller Glanz sei vor und neben mir. /
Lass / wenn der müde Leib entschläft / die Seele wachen
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen /
So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu dir.

 

V. Dennoch bleibe ich stets an dir

Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältest mich bei meiner rechten Hand,
Du leitest mich nach deinem Rat und nimmest mich endlich mit Ehren an.
Psalm 73, 23–24
 

VI. Wende dich, Herr

Wende dich, Herr, und sei mir gnädig; den ich bin einsam und elend.
Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten.
Siehe an meinen Jammer und Elend und vergib mir alle meine Sünde.
Psalm 25, 16–18
 

VIII. Ich bin jung gewesen

Ich bin jung gewesen und alt worden; und habe noch nie gesehen,
 den Gerechten verlassen; oder seinen Samen nach Brot gehen.
Bleibe fromm und halt dich recht. Denn solchem wirds zuletzt wohl gehen.
Psalm 37, 25. 37
 

Lesung
 

Hermann Hesse (1877–1962)
Gestutzte Eiche

Wie haben sie dich, Baum, verschnitten,
wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war!
 

Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
gequälten Leben brech ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen
Rohheiten neu die Stirn ins Licht.
 

Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
doch unzerstörbar ist mein Wesen,
ich bin zufrieden, bin versöhnt,
 

Geduldig neue Blätter treib ich
aus Ästen hundertmal zerspellt,
und allem Weh zum Trotze bleib ich
verliebt in die verrückte Welt.
 

Rainer Maria Rilke (1875–1926)
Das Marien-Leben
Die Darstellung Mariae im Tempel

Um zu begreifen, wie sie damals war,
musst du dich erst an eine Stelle rufen,
wo Säulen in dir wirken; wo du Stufen
nachfühlen kannst; wo Bogen voll Gefahr
den Abgrund eines Raumes überbrücken,
der in dir blieb, weil er aus solchen Stücken
getürmt war, dass du sie nicht mehr aus dir
ausheben kannst: du rissest dich denn ein.
 

Bist du so weit, ist alles in dir Stein,
Wand, Aufgang, Durchblick, Wölbung –,
so probier den großen Vorhang, den du vor dir hast,
ein wenig wegzuzerrn mit beiden Händen:
da glänzt es von ganz hohen Gegenständen
und übertrifft dir Atem und Getast.
Hinauf, hinab, Palast steht auf Palast,
Geländer strömen breiter aus Geländern
und tauchen oben auf an solchen Rändern,
dass dich, wie du sie siehst, der Schwindel fasst.
Dabei macht ein Gewölk aus Räucherständern
die Nähe trüb; aber das Fernste zielt
in dich hinein mit seinen graden Strahlen –,
und wenn jetzt Schein aus klaren Flammenschalen
auf langsam nahenden Gewändern spielt: wie hältst du's aus?
 

Sie aber kam und hob den Blick, um dieses alles anzuschauen.
(Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen Frauen.)
Dann stieg sie ruhig, voller Selbstvertrauen,
dem Aufwand zu, der sich verwöhnt verschob:
So sehr war alles, was die Menschen bauen,
schon überwogen von dem Lob
in ihrem Herzen. Von der Lust
sich hinzugeben an die innern Zeichen:
Die Eltern meinten, sie hinaufzureichen,
der Drohende mit der Juwelenbrust
empfing sie scheinbar: Doch sie ging durch alle,
klein wie sie war, aus jeder Hand hinaus
und in ihr Los, das, höher als die Halle,
schon fertig war, und schwerer als das Haus.
 

Brüder Grimm
Die Sterntaler
 

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld.
Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir’s«, und ging weiter.
Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm.
Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch hin.
Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch ein Kind und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.
Wie es nun so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter harte blanke Taler, und obwohl es sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.
 

IX. Der Herr denket an uns

Der Herr denket an uns und segnet uns; er segnet das Haus Israel, er segnet das Haus Aaron; er segnet, die den Herrn fürchten, beide Kleine und Große.
Der Herr segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder.
Ihr seid die Gesegneten des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Psalm 115, 12–15
 

XIII. Siehe an die Werk Gottes

Siehe an die Werk Gottes, denn wer kann das schlecht machen das er krümmet?
Am guten Tag sei guter Dinge, und den bösen Tag nimm auch für gut; den diesen schaffet Gott neben jenem, dass der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist.
Prediger 7, 13–14
 

XV. Unser Leben währet siebnzig Jahr

Unser Leben währet siebnzig Jahr,
und wenn’s hoch kömmt so sind’s achtzig Jahr,
und wenn es köstlich gewesen ist,
so ist es Müh’ und Arbeit gewesen,
denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.
Psalm 90, 10

 

Lesung

 

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857)
Komm, Trost der Welt

Komm, Trost der Welt, du stille Nacht!
Wie steigst du von den Bergen sacht,
die Lüfte alle schlafen,
ein Schiffer nur noch, wandermüd,
singt übers Meer sein Abendlied
zu Gottes Lob im Hafen.
 

Die Jahre wie die Wolken gehn
und lassen mich hier einsam stehn,
die Welt hat mich vergessen,
da tratst du wunderbar zu mir,
wenn ich beim Waldesrauschen hier
gedankenvoll gesessen.
 

O Trost der Welt, du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd gemacht,
das weite Meer schon dunkelt,
lass ausruhn mich von Lust und Not,
bis dass das ew’ge Morgenrot
den stillen Wald durchfunkelt.
 

Abend

Gestürzt sind die goldnen Brücken
und unten und oben so still!
Es will mir nichts mehr glücken,
ich weiß nicht mehr, was ich will.
 

Von üppig blühenden Schmerzen
rauscht eine Wildnis im Grund,
da spielt wie in wahnsinnigen Scherzen
das Herz an dem schwindligen Schlund. –
 

Die Felsen möchte ich packen
vor Zorn und Wehe und Lust,
und unter den brechenden Zacken
begraben die wilde Brust.
 

Da kommt der Frühling gegangen,
wie ein Spielmann aus alter Zeit,
und singt von uraltem Verlangen
so treu durch die Einsamkeit.
 

Und über mir Lerchenlieder
und unter mir Blumen bunt,
so werf ich im Grase mich nieder
und weine aus Herzensgrund.
 

Da fühl ich ein tiefes Entzücken,
nun weiß ich wohl, was ich will,
es bauen sich andere Brücken,
das Herz wird auf einmal still.
 

Der Abend streut rosige Flocken,
verhüllet die Erde nun ganz,
und durch des Schlummernden Locken
ziehn Sterne den heiligen Kranz.
 

Claus Harms (1778–1855)
Dennoch

»Dennoch« ist ein schönes Wort,
»Dennoch« heißt mein Glaube;
»Dennoch« sag’ ich fort und fort,
ob ich lieg’ im Staube,
ob ich steh’
auf der Höh’
in des Glückes Schimmer,
»Dennoch« sag’ ich immer.
 

Ob ich bleib’ ein armer Mann
und die Andern prangen,
da ich weder will noch kann,
wie sie es verlangen;
ob der Welt
es gefällt,
mich darum zu plagen:
»Dennoch« will ich sagen.
 

»Dennoch« will ich stille sein
und an Gott mich halten;
dennoch lass ich ihn allein,
meinen Vater, walten;
»Dennoch« meint
er, mein Freund,
es mit mir aufs Beste:
damit ich mich tröste.
 

XVII. Herr, lass meine Klage

Herr, lass meine Klage für dich kommen; unterweise mich nach deinem Wort.
Lass mein Flehen für dich kommen; errette mich nach deinem Worte.
Meine Lippen sollen loben, wenn du mich Deine Rechte lehrest.
Psalm 119, 169–171

XXI. Was betrübst du dich, meine Seele

Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichtes Hülfe und mein Gott ist.
Psalm 42, 12 und 43, 5

XXV. Lehre uns bedenken

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Herr, kehre Dich doch wieder zu uns und sei deinen Knechten genädig!
Fülle uns früh mit deiner Gnade,
so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.
Psalm 90, 12–14
 

off