Der Festival-Jahrgang 2025: Transformation
Gespräch mit dem Intendanten Prof. Dr. Michael Maul
Herr Maul, das Motto des Bachfestes 2025 lautet »Transformation«. Das klingt, als wollten Sie unbedingt auf ein allgegenwärtiges Thema aufspringen?
MM (lacht): Natürlich ist uns bewusst, dass der Begriff derzeit in aller Munde ist, namentlich, wenn es darum geht, den dringend notwendigen Paradigmenwechsel in der Weltwirtschaft raus aus der Ausbeutung fossiler, hinein in die Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu charakterisieren. Ausschlaggebend bei der Motto-Auswahl war für mich aber etwas anderes: Viele Kompositionen Johann Sebastian Bachs sind ebenfalls von Transformationsprozessen geprägt. Das lateinische »transformare« steht für »umformen«, und tatsächlich hat Bach manche seiner Werke vielschichtigen Umformungsprozessen unterzogen. Genau dies wollen wir im Bachfest zeigen, etwa am Beispiel seiner Passionen oder der h-Moll-Messe.
Aber dies allein macht kein vielseitiges Bachfestprogramm!
Da haben Sie vollkommen recht, die Transformationen reichen bei Bach viel weiter. Spannend ist es ebenfalls zu hören, welche Metamorphosen manche Partituren mittels des Bachschen Parodieverfahrens erfuhren – etwa, wenn Bach die Noten von Huldigungsmusiken auf die sächsische Kurfürstenfamilie ins Weihnachtsoratorium verwandelte. Oder wenn ihm Sätze aus der Matthäus-Passion als Gerüst für die Trauermusik auf seinen geliebten Fürsten Leopold dienten. Erhellend ist es aber auch nachzuvollziehen, dass Bach, obwohl er Deutschland nie verließ, sich systematisch die musikalische Landkarte ganz Europas erschloss: durch das beständige Studium der Musik seiner Zeitgenossen. Sprich: Er kopierte und arrangierte sich Werke etwa der französischen Orgelschule oder der führenden Italiener und schliff daran seinen eigenen Stil. So entstand beispielsweise aus Pergolesis »Stabat mater« das deutschsprachige Psalmkonzert »Tilge, Höchster, meine Sünden« – ein Stück, in dem Bach mal eben nicht nur mit einem neuen Text, sondern auch mit einer hineingewobenen neuen Bratschenstimme überrascht. All diese faszinierenden Aspekte werden im Festival hörbar.
Heißt dies, dass Bachs geistliche Kantaten, die in den letzten Jahren Ihre Festival-Programme durchaus prägten, diesmal deutlich kürzer kommen?
Keinesfalls. Denn auch in den Kantaten finden Transformationen statt. Letztlich kenne ich neben Bach keinen anderen Komponisten, der in seinen geistlichen Werken derart intensiv ausgelotet hat, wie es sich anfühlen dürfte, wenn sich die Seele von der Endlichkeit des Diesseits in die Unendlichkeit des Jenseits ›transformiert‹. Kurzum: Es war ein Leichtes, mit der »Transformation« als rotem Faden ein facettenreiches Bachfest-Programm zu stricken und dafür wieder erlesene Künstlerinnen und Künstler zu begeistern – übrigens darunter nicht wenige, die ihrerseits in den letzten Jahrzehnten Transformationsprozesse in der Bach-Interpretation ausgelöst haben.
Und dennoch schwingt bei dem Wort Transformation auch mit, dass man nicht nur auf Bach zurückschaut, sondern ihn gewissermaßen ins Hier und Jetzt holt und mit seiner Musik experimentiert. Lösen Sie auch diese Erwartung ein?
Selbstverständlich. Im Bachfest haben wir ja schon immer Formate, in denen dieser Ansatz Programm ist, etwa auf unserer Open-Air-BachStage. Dort wird am ersten Wochenende demonstriert, dass Bach genreübergreifend – von der Romantik über den Jazz und Rock – Musiker inspiriert. Hier werden wir sogar »Die Arabische Passion« hören – ein Blick auf Bachs Passionen durch die musikalische Brille des Nahen Ostens.
Apropos Passion: Ich bin sehr glücklich, dass wir neben Bachs eigener ersten Transformation der Johannes-Passion (Fassung 1725) auch eine brandaktuelle, mutige Version dieses epochalen Werks hören werden: die »QueerPassion« – eine Neutextierung, vorgenommen von Thomas Höft, der Bachs zutiefst bewegende Musik nutzt, um Verbrechen der Vergangenheit und Gegenwart an queeren, also nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechenden Menschen, zu thematisieren.
Ich selbst wollte das Jubiläum 500 Jahre Auerbachs Keller nicht vorbeigehen lassen, ohne Bach und Goethe miteinander zu ›vermählen‹. Mit »Bachs Faust« habe ich eine Art Singspiel erstellt, das Goethes Faust mit Musik Bachs untermalt und kommentiert. Darauf freue ich mich riesig, zumal mit Burghart Klaußner in der Rolle des Doktor Faustus und aufgeführt an einem wahrhaften Originalschauplatz. Sehr glücklich bin ich auch, dass wir in der Reihe »Über Bach« einige der größten Denkerinnen und Denker unserer Zeit – darunter zwei Literaturnobelpreisträger – gewonnen haben, sich der Herausforderung zu stellen, das schwer fassbare Phänomen Johann Sebastian Bach in Worte zu fassen.
Übrigens: Das Thema Transformation zeigt sich schon in unserem Titelmotiv, gestaltet von Ritchie Riediger. Mittels der Braunschen Röhre verwandelt er Klänge in Graphik. Unser Titel zeigt seine Verwandlung von Bachs unvollendeter B-A-C-H-Fuge. Mit anderen Worten: Das legendäre Werk, in dem Bach selbst seinen Namen in Noten transformierte, transformiert Riediger nun in ein Bild. Doppeltransformation!
Ritchie Riediger »B-A-C-H / THE LAST MINUTE« / 2024 / erscheint 2025 als Graphik, die käuflich erwerbbar ist
Es heißt, Bach selbst würde benfalls im Bachfest auftreten. Ein Scherz, oder?
Jein. Das Zauberwort heißt Augmented Reality. Denn beginnend im Bachfest wird Bach im historischen Sommersaal des Bach-Archivs mehrfach täglich eine Art Gesprächskonzert geben: so wie wir ihn aus dem berühmten Porträt Haussmanns kennen, das wir schlichtweg zum Leben erwecken werden. Lassen Sie sich überraschen, es wird spektakulär – und buchen Sie schnell Ihren Sitzplatz, denn die Kapazitäten des Sommersaals sind (leider) begrenzt!
Lösen Sie mit der Ansage »Transformation« aber auch ein, das ganze Festival nachhaltiger zu gestalten?
Wir versuchen das auf allen Ebenen der Planung, Gestaltung und Organisation. Denn natürlich ist es uns ein zentrales Anliegen, die Internationalität des Bachfestes – mit Mitwirkenden und Gästen aus aller Welt – mit dem Gebot der Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Dazu gehört, dass wir unsere eigenen Prozesse sehr genau hinterfragen, Künstlerinnen und Künstler möglichst mehrfach auftreten lassen und hervorragende Partner gefunden haben, die uns auf den Themenfeldern Mobilität und Versorgung grüner werden lassen. Und natürlich kommen wir nicht daran vorbei, den unvermeidlichen CO2-Fußabdruck zu kompensieren, den die einzigartige Internationalität des Bachfestes mit sich bringt. Deshalb pflanzen wir ja schon seit vier Jahren im Süden Leipzigs den »Bach-Wald« an, unser Herzensprojekt, für das wir kontinuierlich Spenden sammeln und jährlich ein Klimakonzert organisieren. 2025 gehen wir noch einen Schritt weiter: Mit einer neuen Rabattart möchten wir unsere Besucherinnen und Besucher motivieren, den sogenannten »Klima-Pass« zu erwerben. Diese solidarische Kompensation für den Fußabdruck des Bachfestes geht zu 100 Prozent in Setzlinge für den Bach-Wald. So kann der Wald künftig noch viel schneller wachsen. Und im besten Fall gelingt es uns auf diese Weise, bei unserem Publikum ein Bewusstsein zu wecken, das zu dessen eigener Transformation beiträgt!